Die Menschenhandwerkerin ist eine von tausenden Medizin-Studenten in Deutschland. Sie absolviert gerade ihr letztes Jahr des Studiums und ist als OP-Assistentin und Mädchen für alles auf einer Allgemeinchirurgie tätig. Damit strebt sie einen Beruf an, der vielen von uns das Leben erleichtert oder sogar rettet. Etwa 15 Millionen Operationen (2010) werden jedes Jahr durchgeführt. Demnach werden 18 Prozent der Bevölkerung jedes Jahr operiert oder anders ausgedrückt muss man sich im Schnitt alle Fünfeinhalb Jahre unters Messer legen. Die Menschenhandwerkerin, die ihre Gedanken auf ihrem Blog teilt, erzählt uns mehr über das Medizinstudium, Operationen und über das Empfinden dabei.
Warum hast du dich dazu entschieden, etwas in Richtung Medizin und Chirurgie zu arbeiten?
Nach dem Abitur wollte ich einerseits in die naturwissenschaftliche Richtung gehen, aber auch einen „sozialen“ Beruf ergreifen. Medizin studieren habe ich mir allerdings nicht von Anfang an zugetraut, da ich der Meinung war, dass das nur etwas für Ärztekinder und Einser-SchülerInnen ist. Über einige Umwege (anderes Erststudium, Vollzeitjob) bin ich dann doch zum Medizinstudium gelangt und habe es gewagt.
Was genau lernt man im Medizinstudium? Stimmt das berühmte Gerücht vom Leichenaufschneiden?
Im ersten Jahr lernt man hauptsächlich Grundlagen, sprich (Bio)Chemie, Anatomie, etwas Physik, Physiologie, Genetik und ähnliches. Danach wird es spannender – Pharmakologie, Pathologie und schlussendlich die einzelnen Fächer wie Kinderheilkunde, Gynäkologie, Neurologie, Chirurgie, Innere Medizin, Augenheilkunde, und so weiter… Neben theoretischem Unterricht ist man auf den jeweiligen Stationen im Krankenhaus, um auch praktisch etwas zu lernen.
Ab dem 4. Semester geht es mit dem Sezierkurs los. Ich denke, dass die Vorstellung davon fantasievoller und ekliger scheint, als es dann wirklich ist. Die Leichen sind in Formaldehyd „eingelegt“, sprich konserviert. Das heißt, dass sie blutleer und keimfrei sind. Mit frischen Leichen arbeitet man im Sezierkurs nicht, es spritzt also kein Blut. Man bekommt zu viert eine Leiche, um dort die davor gelernten anatomischen Strukturen aufzusuchen, präparieren und darzustellen, sprich Muskeln, Sehnen und Nerven. An den etwas scharfen Geruch muss man sich gewöhnen, ansonsten ist es nicht so gruselig, wie man es sich vielleicht vorher vorstellt. Es ist auch keine einzige Person ohnmächtig geworden.
Wie werdet ihr auf Eingriffe wie Operationen vorbereitet? Man muss ja ein Gefühl dafür bekommen, was man da macht und ein Fehler kann schwer wiegen.
Im Sezierkurs bekommt man erst einmal das Gefühl für das Gewebe. In der ersten Stunde wusste ich zum Beispiel nicht, wie fest man mit dem Skalpell in die Haut schneiden muss, ohne dass ich darunterliegende Strukturen zerstöre. Danach ist man zum ersten Mal auf einer chirurgischen Station, wo man im OP assistiert. Dort hält man dann erst mal die Haken, um das Operationsgebiet für die/den OperateurIn offen und übersichtlich zu halten. In einem höheren Semester darf man dann einfache Tätigkeiten durchführen, zum Beispiel nähen. So wird man schrittweise an den späteren Beruf herangeführt.
Verspürt man einen großen Druck wenn man einen Menschen operiert und dessen Gesundheit in den eigenen Händen liegt?
Da ich noch studiere und nur assistiere, kann ich das noch nicht genau beurteilen. Man ist im Krankenhaus allerdings nie alleine, kann immer KollegInnen fragen und am OP-Tisch steht man auch nicht alleine. Es ist auch wichtig, dass man seine eigenen Fähigkeiten einschätzen kann, also was man sich selbst zutraut. Wenn man etwas noch nie gemacht hat und eine bestimmte Tätigkeit über den eigenen Kompetenzen liegt, ist es ein Fehler den Coolen zu spielen. Wenn dann etwas passiert, ist es blöder, als wenn man sich absichert und etwas lieber erst einmal unter Aufsicht macht.
Wie kann man eine emotionale Distanz zu den Menschen aufbauen? Helfen da abgeschwächte Vokabeln oder Galgenhumor?
Witze sind in der Chirurgie Gang und Gäbe, das habe ich mittlerweile in verschiedenen Krankenhäusern erfahren. Dabei geht es nicht darum, sich über die PatientInnen lustig zu machen, sondern um eine gewisse „Leichtigkeit“ zu erreichen. Wenn man sich jeden schlimmen Fall zu Herzen nimmt, ist man meiner Meinung nach falsch in dem Beruf. Das gilt meiner Meinung nach für alle Sparten. Empathie zu zeigen soll nicht heißen, dass man sich überall reintheatert und mitleidet.
Um Operationen durchführen zu können, muss man mit Sicherheit Blut sehen können. Gibt es trotzdem Zustände oder Stellen im Körper, die man als eklig empfindet?
Klar wird man nicht gegen alle Gerüche immun, allerdings reduziert sich mit der Zeit das Ekelgefühl. Man gewöhnt sich einfach daran. Der Geruch von Stuhl oder Erbrochenem ist irgendwann nichts Besonderes mehr, gut riechen wird es allerdings nie.
Ist es einfach vom Beruf in das normale Leben umzuschalten, wenn man beispielsweise in der Mittagspause mit den Händen sein Wurstbrot isst, mit denen man vor einer halben Stunde noch eine OP durchgeführt hat?
Da man immer Handschuhe trägt, ist es mir relativ egal, ob ich eine oder fünf Stunden nach einer OP etwas esse, meinen KollegInnen geht es nicht anders. Was mich manchmal etwas mitnimmt, sind besonders tragische Krankheitsfälle, wenn es sich um junge PatientInnen handelt oder Eltern mit kleinen Kindern. Da merke ich schon, dass ich nach der Arbeit etwas nachdenklich nachhause gehe. Das gibt sich aber dann wieder nach ein paar Stunden oder einem Tag, vor allem wenn ich mit meinem Freund darüber rede.
Ist es wichtig, gut mit Menschen umgehen zu können, um sie zu beruhigen oder ihnen Angst zu nehmen?
Auf jeden Fall. Man arbeitet mit PatientInnen zusammen, die vielleicht zum ersten Mal schwer krank oder im Krankenhaus sind, und die brauchen nicht nur eine Person, welche über Faktenwissen, sondern auch über eine gewisse soziale Kompetenz verfügt. Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt gegenüber den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, sind in jedem Beruf wichtig.
Wie lange ist der Weg vom Studenten, der sich an der Uni anmeldet bis zum Chirurgen, der eine Hirn-OP durchführt?
Die Mindeststudiendauer beträgt 6 Jahre, danach beginnt man mit der Facharztausbildung, welche noch einmal 6 Jahre dauert. Die Dauer der Facharztausbildung ist für fast alle Fächer gleich. Einen kleinen Eingriff, wie zum Beispiel eine Blinddarm-OP, darf man schon relativ früh in der Facharztausbildung durchführen. Größere Operationen natürlich erst nach einer entsprechend längeren Ausbildungszeit.
Was bereitet dir Freude an deinem Beruf?
Auch wenn es etwas pathetisch klingt: das Wissen, dass ich Menschen helfen kann.
Bilder: Titelbild: Clker; Tabletten: Dirk Kruse / pixelio.de; Figur von Mensch Muskelaufbau: Tim Reckmann / pixelio.de