1,56 Millionen Rollstuhlfahrer gibt es in Deutschland und damit ist Barrierefreiheit ein wichtiges Thema. Im Alltag stoßen wir andauernd auf Geschäfte, Einrichtungen oder andere Dinge, die barrierefrei gebaut wurden. So gibt es bei Eingängen mit Treppen Rampen für Rollstuhlfahrer, bestimmte Supermarktkassen sind breiter als andere und es gibt spezielle Toiletten für Leute mit Behinderung. Es gibt eigene Netzwerke und Webseiten für Rollstuhlfahrer wie Wheelmap, auf denen man diese Dinge herausfinden kann. Christiane ist eine Rollstuhlfahrerin und Journalistin in London, die ihre Erlebnisse im Alltag auf ihrem Blog festhält. Im Interview erklärt sie uns mehr über das Leben im Rollstuhl.
Welche Hindernisse machen dir als Rollstuhlfahrerin Probleme?
Für mich als Rollstuhlfahrerin ist eine barrierefreie Umgebung sehr wichtig. Das heißt keine Stufen, zugängliche Toiletten, Fahrstühle etc. Wenn ich das nicht vorfinde, bin ich de facto ausgeschlossen. Aber es sind auch manche Einstellungen von Leuten, die mir Probleme bereiten. Mir geht zum Beispiel ziemlich auf die Nerven, dass behinderte Menschen immer öfter als Sicherheitsproblem angesehen werden und man uns deshalb den Zugang zu Kinos und anderen Einrichtungen verwehrt, obwohl wir rein baulich problemlos hinein kämen. Dieser Sicherheitswahn führt zur Ausgrenzung, die teilweise völlig unnötig wäre und im Endeffekt pure Diskriminierung ist. Niemand käme auf die Idee, Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Haarfarbe den Zugang zu verwehren. Wieso das beim Merkmal ”Behinderung” okay ist, verstehe ich nicht.
Musst du deswegen auf bestimmte Dinge verzichten oder finden sich immer Alternativen oder andere Wege?
Ich lebe seit 2006 in Großbritannien. Das Land hat eine relativ strenge Antidiskriminierungs-Gesetzgebung und das wirkt sich auch auf bauliche Einrichtungen aus. Es gibt hier viel weniger Gebäude, in die ich nicht hineinkomme als in Deutschland. Aber es gibt sie. Es kommt immer noch vor, dass ich zu Veranstaltungen nicht gehen kann, weil ich schlicht und einfach nicht hineinkomme, aber eher selten. Leute, die mich kennen, wissen, dass ich mich nicht mit ihnen im 5.Stock ohne Fahrstuhl treffe und planen dementsprechend.
Welche anderen Schwierigkeiten ergeben sich im Alltag?
Mein Alltag ist nicht sehr durch Schwierigkeiten bestimmt. Nicht behinderte Menschen stellen sich das Leben von behinderten Menschen oft als ungemein schwierig vor. Das ist es aber nicht unbedingt. Man muss sicher einige Dinge anders machen, besser planen und manches dauert einfach länger, aber das mein Alltag jetzt von Schwierigkeiten beherrscht wäre, kann ich nicht sagen. Es sind in erster Linie bauliche Probleme, die mich behindern, und die versuche ich einfach zu vermeiden, in dem ich Umwege in Kauf nehme, mit dem Auto fahre oder mich einfach woanders verabrede.
Angenommen du willst in einem Restaurant essen gehen. Wie kannst du dich vorher darüber informieren, ob das Restaurant für Rollstuhlfahrer geeignet ist?
Foursquare, Google Streetview und Google Bildersuche. Ich muss meist nur wissen, ob der Eingang eines Gebäudes Stufen hat und die Information bekomme ich in 90 Prozent der Fälle über die Fotos bei Foursquare oder bei Google Streetview. Also, wer Foursquare nutzt, hilft mir sehr, wenn er ein Foto auf dem der Eingang zu sehen ist, hochlädt. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass es ziemlich sinnlos ist, Restaurants anzurufen, weil die Mitarbeiter entweder die Frage nicht verstehen oder einfach “Ja, wir sind barrierefrei” sagen ohne eine Sekunde nachzudenken oder “vergessen”, dass sie fünf Stufen vor der Tür haben.
Sind Großstädte besser für Rollstuhlfahrer angepasst als kleinere Städte oder Dörfer?
Auf alle Fälle. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und wusste schon mit 8 oder 9, dass ich mal in einer Großstadt leben möchte und bin nach dem Abitur sofort nach Hamburg gezogen.
Ist es körperlich anstrengend, viel mit dem Rollstuhl zu fahren?
Für mich nicht. Das ist sicherlich sehr individuell, ich habe ziemlich starke Oberarmmuskeln. Es gibt aber auch elektrische Rollstühle, die einen Motor haben für Leute, die wenig oder keine Kraft in den Armen haben.
Hast du einen normalen oder einen elektrischen Rollstuhl und warum?
Ich habe einen Aktivrollstuhl, also einen manuellen Rollstuhl. Der wiegt nicht einmal 9kg, ich kann ihn selber ins Auto heben, kann damit Bürgersteigkanten und eine Stufe hoch- oder runterspringen. Das ist mit einem elektrischen Rollstuhl schwieriger. Wer nicht wirklich einen elektrischen Rollstuhl braucht, fährt normalerweise auch keinen, weil diese sehr groß und schwer sind.
Wie kommst du an dein Ziel wenn du beispielsweise zur Arbeit oder Einkaufen gehst?
Wie jeder andere Menschen auch: Mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Lebensmittel lasse ich mir unterdessen liefern – ich brauche ziemlich lange beim Einkaufen und Schleppen und war es leid, meine Wochenenden im Supermarkt zu verbringen. Jetzt kommt einmal in der Woche Ocado, ein britischer Lieferdienst, der nicht einmal viel teurer ist als wenn ich selber einkaufen würde.
Brauchst du manchmal Hilfe von anderen Leuten oder kannst du dich selbstständig fortbewegen?
Wenn die Umgebung barrierefrei ist, kann ich mich selber fortbewegen. Im Supermarkt komme ich oft nicht an die Dinge im obereren Regal dran. Noch ein Grund für den Lieferdienst.
Was würdest du dir wünschen, um im Alltag mehr Barrierefreiheit zu haben?
Weniger Sonntagsreden, mehr Taten, vor allem in Deutschland. Es ist nicht zu verstehen, warum Großbritannien oder die USA baulich so viel weiter sind als Deutschland. Es gibt immer noch nagelneue Gebäude, die mit Stufen vor der Tür gebaut werden. In einer Gesellschaft, in der es immer mehr ältere Menschen gibt, ist das eine Bausünde, denn irgendwann wird man das mühsam umbauen müssen. Außerdem wäre es gut, wenn mal begonnen würde, Gebäude, die einfach nachzubessern wären, nachzubessern und ggf. z. B. mit manuellen Rampen auszustatten.
Bilder: Titelbild: Clker; Rollstuhlfahrer Symbol auf Schild: Egon Häbich / pixelio.de; Rollstuhlfahrer: Albrecht E. Arnold / pixelio.de; Rollstuhlfahrer Symbol auf Straße: Sophie Lamezan / pixelio.de
Aloha,
wir finden deinen Blog und ganz besonder die Idee dahinter super. Wir waren so frei und haben diesen Beitrag auf unserer Facebookseite “blogARTig” veröffentlicht. Solltest du etwas dagegen haben, bitte laut schreien.
Liebste Grüße
blogARTig
https://www.facebook.com/blogartig
Ich glaube, ein Problem ist, dass manche Gebäude erst dann barrierefrei ausgebaut werden, wenn das erste mal ein Rollstuhlfahrer nicht hereinkam und das auch gesagt hat. Wie oft gehen aber Rollstuhlfahrer gar nicht erst in eine bestimmte Location, weil sie von vorneherein wissen, dass es nicht geht? Es ist heutzutage in Deutschland überhaupt kein großer Aufwand mehr, auch für gehbehinderte einen Ort zugänglich zu machen. Ich glaube, dass es auch nicht am Willen und am Geld mangelt, sondern einfach daran, dass die webigsten sich einmal in die Lage einer Rollstuhlfahrers versetzen.