Jan Blüher, Doktor der Informatik, entwickelt seit 2011 mit seinem eigenem Unternehmen visorApps für Apples iOS-Plattform. Die Anwendungen der Firma konzentrieren sich vor allem auf Menschen mit einer Sehbehinderung und bieten Hilfe im Spektrum von Farbenblindheit bis zur vollständigen Blindheit. Jan, der 1997 selbst erblindete, hat mit dem Spiel MouseKick nun eine App auf den Markt gebracht, die auch für Blinde Spielspaß bereithält. Im Interview erfahren wir mehr.
Was ist das Spielkonzept von MouseKick?
Bei MouseKick hat der Spieler die Aufgabe, Mäuse, die aus den verschiedenen Löchern eines Käses kommen, wieder zurück zu tappen. Am Anfang ist das noch relativ leicht, aber je länger das Spiel dauert, umso schneller kommen die Mäuse. Neben den normalen grauen Mäusen gibt es außerdem noch weiße und schwarze. Die weißen muss man doppelt tappen und bekommt dann je nach Spielmodus mehr Punkte oder extra Käse. Von den schwarzen Mäusen sollte man immer die Finger lassen.
Wie ist es möglich dass es auch von Blinden gespielt werden kann?
Die Mäuse machen auch Geräusche, mit denen sich die Positionen im Käse und die Mausfarben erkennen lassen. Zum Lernen der Geräusche bietet MouseKick einen Trainingsmodus. Und dann kann es los gehen – auch ohne Augenlicht. Übrigens können auch Sehende MouseKick nur mit dem Gehör spielen. Bei der Auswahl der Spielmodi gibt es die Option Blind-Modus. Schaltet man diese ein, wird der Käse abgedunkelt und man muss sich von den tönen leiten lassen.

Benötigt es viel Training, um das Spiel als Blinder spielen zu können oder kann man sich schnell einfühlen?
Das kommt auf den einzelnen Spieler an. Ich hatte schon Leute, die nach weniger als fünf Minuten Training mit einem Spiel begonnen haben und viel Spaß hatten. Andere brauchen etwas länger.
Haben andere Blinde das Spiel bereits getestet? Wie ist das allgemeine Feedback?
MouseKick ist jetzt seit ungefähr einer Woche im App Store. Das Feedback, welches ich gerade auch von Blinden bekommen habe, war durchweg positiv bis enthusiastisch. Und auch diejenigen, welche länger zum Lernen der Geräusche brauchen, finden es dann toll. So ein Feedback freut mich natürlich sehr. Die Entwicklung hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen und wenn dann etwas raus kommt, was den Leuten Freude bereitet, dann war es die Mühe wert.
Haben auch Sehende Spaß am Spiel?
Natürlich. MouseKick besitzt schöne Grafik und Animation. Und so als kleines Spiel zwischendurch ist es der perfekte Zeitkiller. Selbst mein dreijähriger Sohn ist von den Mäusen fasziniert und amüsiert sich königlich, wenn er eine schwarze Maus erwischt.
Sie sind selbst blind. Welche Schwierigkeiten ergeben sich dadurch bei der App-Entwicklung?
Die einzige wirkliche Schwierigkeit ist tatsächlich die optische Gestaltung der Apps. Es gibt in den Entwicklerbibliotheken sehr viele vorgefertigte Bildschirmelemente, die man auch als blinder Entwickler leicht einsetzen kann, aber gerade bei einem Spiel wie MouseKick kann man nur bedingt darauf zurückgreifen. Ich benötige also immer etwas Assistenz beim Arrangement des Bildschirms und natürlich bei der optischen Endkontrolle.
Wie haben Sie diese Probleme gelöst?
Zum Glück kenne ich den Dresdner Grafiker Torsten Becker, der die Grafik für MouseKick erstellt hat. Das erlaubt mir überhaupt erst die Entwicklung einer solchen auch optisch ansprechenden App. Ich kann außerdem auf Assistenten und Tester zurückgreifen. Eine sehr große Rolle spielt aber auch meine direkte Umgebung, meine Familie und Freunde, denen ich immer wieder die Apps vor die Nase halten kann. Die meisten Fehler sind dann schnell gefunden.
Die neue Technik von Smartphones und Tablets bietet immer mehr Möglichkeiten. Welche weiteren Hilfsmittel für blinde Menschen werden diese Geräte und deren Anwendungen in der Zukunft noch mit sich bringen?
Das Potential ist wirklich riesengroß schon allein wenn man bedenkt, was die Smartphones bisher gebracht haben: Das Lesen von Fahrplänen an Haltestellen ist kein Problem mehr. Der Zugang zu aktueller Literatur über die großen eBook-Stores ist ebenfalls in vielen Bereichen gelöst. Der Zugang zum Internet, zu den sozialen Medien zu Informationen aller Art ist auch für Blinde jederzeit möglich. In Zukunft wird auch die Mobilität von Blinden durch immer bessere Navigations-Apps gewährleistet sein. Da gibt es schon gute Ansätze und Angebote und wir stehen da erst am Anfang. Ein wichtiger Punkt könnte auch die vielbeschworene Heimvernetzung sein. Was dem Sehenden vielleicht als nettes Technik-Spielzeug erscheinen mag, erlaubt uns, wenn es gut gemacht ist, endlich den uneingeschränkten Zugang zu wirklich allen Funktionen meiner Waschmaschine oder Mikrowelle. Ob man das immer so braucht, ist eine Frage für sich, aber nicht mehr bangen zu müssen, ob man nicht gerade vielleicht doch die Wollwäsche in das Kochprogramm gesteckt hat, wäre durchaus ein Zugewinn an Lebensqualität. Ich bin da sehr zuversichtlich und mit Hinblick darauf gibt es bereits den Spruch: “Es ist eine gute Zeit, um blind zu sein.”
Ist die iOS-Plattform für Blinde und für Apps für Menschen mit Sehschwächen generell gut geeignet?
iOS ist zur Zeit die am besten angepasste und auch komfortabelste Platform für Blinde und Sehbehinderte. Apple hat sehr viel in die entsprechende Technologie investiert – mehr als das je eine andere Mainstream-Firma getan hat. Zusammen mit der allgemein hohen Benutzerfreundlichkeit von iPhone und iPad ermöglicht das zum Beispiel auch älteren Blinden den Aufsprung auf die neue Technik. Apple hält auch seine Entwickler dazu an, ihre Apps für möglichst alle Nutzer zu anzupassen, stellt die dafür notwendigen Werkzeuge zur Verfügung und hat die Grundlagen schon in vielen Programmbibliotheken eingebaut. Es gibt Entwickler, bei denen sich Blinde Nutzer für die gute Zugänglichkeit ihrer Apps bedankt haben und die darüber völlig erstaunt waren, weil sie nichts extra dafür getan hatten. Für App-Entwickler ist es also relativ leicht, auch für Blinde und Sehbehinderte zu entwickeln. Es gibt gerade die sehr positive Entwicklung, dass eine menge Entwickler, die sonst mit der Thematik nichts zu tun haben, uns als Nutzergruppe entdecken und ihre Produkte entsprechend anpassen. Das hat es in dieser Form vorher auch noch nicht gegeben.
Welche weiteren Apps haben Sie für die Zukunft geplant?
Mein nächstes Projekt ist eine App für eine andere Institution, die noch in diesem Jahr erscheinen soll. Des Weiteren ist ein Update des ColorVisor in Arbeit und auch für MouseKick plane ich Erweiterungen in Richtung Mehrspieler-Modi. Darüber hinaus habe ich viele Ideen und gedankliche Projekte. Einige werden wahrscheinlich umgesetzt. Für andere reicht die Zeit wohl nicht.
Bilder: Titelbild: Clker; Bilder im Artikel: Screenshots vom MouseKick