Psychiater werden Titelbild

Jan über seinen Beruf als Psychiater

Als sich vor zig Millionen Jahren die Einzeller dazu entschlossen haben, mehrzellige Lebewesen zu bilden, sind dabei einige erstaunliche Dinge entstanden. Die Wiesenschaumzikade springt mit ihrer Körpergröße von 6 Millimetern 70 Zentimeter hoch, was beim Menschen ein Sprung über ein 200 Meter hohes Haus entsprechen würde. Ein Kolibri kann bis zu 50 mal pro Sekunde mit seinen Flügeln schlagen. Ein Blauwal hat einen bis zu 3,5 Meter langen Penis. Gleichzeitig haben Mehrzeller aber auch mehr Probleme als ihre einzelligen Kollegen. Sie überprüfen beispielsweise exakt 5 mal ob die Autotür richtig verschlossen ist, verletzten sich selbst oder fühlen sich verfolgt. Um diesen Leuten zu helfen, gibt es Psychiater, in Deutschland alleine 21.600. Einer von ihnen ist Jan, der seine Gedanken auf seinem Blog festhält. Im Interview erzählt er uns mehr über seinen Beruf.

 

 

 

Wie bist du auf die Idee gekommen, Psychiater zu werden?

Nach dem Abi wollte ich eigentlich entweder Jura studieren und Rechtsanwalt oder Richter werden oder Mathematik studieren. Ich habe dann den Zivildienst im Krankenhaus gemacht, weil ich mir dachte: “Mal was ganz anderes machen, was ich später nie mehr machen werde, kann auch nicht schaden!” Es hat mich auf eine chirurgische / unfallchirurgische Station verschlagen und das hat mich dann erwischt. Nachdem man ein Mal gesehen hat, wie jemand, der von einem Auto überfahren worden ist, wieder fachgerecht zusammengenäht worden ist, weiß man: “DAS IST EINE WIRKLICH SINNVOLLE TÄTIGKEIT.” Also habe ich entschieden, Chirurg zu werden und Medizin studiert. Im Laufe des Studiums fand ich dann allerdings alles mögliche super spannend: Anatomie, Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie, Pädiatrie und Intensivmedizin. Als Wahlfach im Praktischen Jahr, dem letzten Jahr des Medizinstudiums, habe ich Kinderheilkunde gewählt.

Danach brauchte ich erst mal einige Bedenkzeit, um mich zu entscheiden, welches Fach ich denn nun für mein ganzes Berufsleben wählen wollte. Für Psychiatrie sprach, dass sie dauerhaft abwechslungsreich, sehr interessant und herausfordernd bleibt. Auch finde ich es wichtig, nicht nur bestimmte Funktionen eines Menschen zu behandeln, sonder eben (klingt jetzt etwas platt, ist aber so…) den ganzen Menschen. Deswegen habe ich mich für Psychiatrie entschieden, und diese Entscheidung nie bereut.



Was braucht man alles um Psychiater werden zu können?

Um Psychiater werden zu wollen, muss man zunächst Medizin studieren und danach eine 5 jährige Weiterbildung in der Psychiatrie machen, davon ein Jahr in der Neurologie. Außerdem braucht man:

  • Respekt. Respekt vor dem ganz individuellen Leben jedes einzelnen Patienten, egal wie weit er sich vom gesellschaftlichen Konsens entfernt hat.
  • Empathie
  • Wohlwollen
  • Fachwissen über die biologische Seite der Sache
  • Fachwissen über die psychologische Seite der Sache
  • Geduld
  • Entscheidungsfreude

 

Wie ist Beruf als Psychiater

 

Was lernt man als Psychiater alles? Geht es nur darum, Menschen mit psychischen Problemen zu helfen oder kann man dann auch Lügner erkennen oder flirten wie ein Weltmeister?

Als Psychiater lernt man zunächst einmal, wie man psychisch kranken Menschen helfen kann. Also zum Beispiel, wie man jemanden, der Stimmen hört und sich verfolgt fühlt, von genau diesen Symptomen befreien kann. Aber natürlich sammelt man im Laufe der Zeit ein großes Maß an Menschenkenntnis – wie jeder, der beruflich viel mit unterschiedlichen Menschen zu tun hat. Tatsächlich begegnet man als Psychiater Menschen allerdings besonders oft in ganz besonderen, ausnehmenden Situationen, beispielsweise in tiefen Krisen. Das ist ein Privileg und eine Verpflichtung. Aber auf jeden Fall gibt es wirkliche Einblicke, wie die Menschen so ticken, wie sie Entscheidungen treffen und was sie zu welchem Handeln bewegt.
Lügner erkenne ich, glaube ich, oft ganz gut. Aber flirten darf ich als Psychiater mit Patientinnen gerade eben nicht. Da bin ich auf meine Erkenntnisse im Privatleben angewiesen… :-)

 

Verläuft eine Therapie nach der Diagnose meistens nach einem festen Plan – wie zum Beispiel die Behandlung eines verstauchten Gelenks – oder behandelt man jeden Patienten etwas anders?

Das ist das Spannende an der Psychotherapie: Es gibt gar keinen Standardplan. Jede Therapie, eigentlich jede Stunde, verläuft anders. Es gibt ein paar Manuale, an die man sich zu Beginn halten kann, und es gibt bestimmte Psychotherapiemethoden, die feste Bestandteile enthalten. Aber letztlich fragt man sich in jeder Behandlung: “Was ist das Problem dieses Menschen und wie kann ich ihm helfen, es zu lösen.” Da sind erlernte Techniken manchmal hilfreich, aber nie die Lösung an sich.

 

Kommt es vor, dass man einem Patienten nicht helfen kann und er auf Therapien einfach nicht anspricht?

Klar. Das ist in der Medizin ja immer so. Auch in der Psychiatrie. Aber manchmal ist es auch so, dass ein Patient ein-, zwei-, dreimal kommt, und man denkt: “Das bringt hier alles gar nichts, ich biete ihm 17 Hilfen an und er nimmt keine einzige an.” Und beim vierten Aufenthalt nimmt er dann den 18. Vorschlag an, und das hilft ihm. Dann ist doch alles gut… :-)

 

Ist es schwierig mit Menschen zu kommunizieren, die verrückt sind?

Also zunächst mal möchte ich gerne klarstellen, dass Menschen, die in der Psychiatrie behandelt werden, nicht “verrückt” sind, sondern krank sind.
Bei einem Patienten mit einer sehr akuten Psychose muss ich mir im Klaren darüber sein, dass sich meine Einschätzung der Realität von seiner Einschätzung der Realität fundamental unterscheidet, und ich sollte seine Einschätzung möglichst im Wesentlichen kennen. Dann kann ich mich sehr einfach unterhalten. Dabei verlasse ich nie meine Einschätzung der Realität, ich sage nie: “Sie werden ja von der Mafia verfolgt, also bleiben Sie mal besser hier, hier passiert ihnen nichts” oder so etwas ähnliches. Ich sage eher so etwas wie: “Sie haben mir berichtet, dass Sie das Gefühl haben, von der Mafia verfolgt zu werden und dass Sie das sehr beängstigt. Aus meiner Sicht handelt es sich dabei um eine Wahrnehmungsstörung, eine Erkrankung. Ich biete Ihnen an, dass wir hier die erforderlichen Untersuchungen durchführen, um hierüber Gewissheit zu erlangen und ich biete Ihnen eine gezielte Behandlung an.” Dann sind die beiden voneinander ver-rückten Sichtweisen benannt und ich kann mich problemlos unterhalten.

 

Was verdient ein Psychiater

 

Du hast sicher auch mit schwierigen Schicksalen zu tun. Ist es dann einfach wieder abzuschalten wenn du nach Hause kommst?

Manchmal nicht, manchmal habe ich abends den Wunsch, nicht mehr viel zu reden und einfach etwas im Internet zu surfen, Musik zu hören oder zu joggen. Aber das geht glaube ich vielen so.
Psychiater haben zusätzlich auch immer die Möglichkeit, Supervisionen zu besuchen, in denen ihr Vorgehen, ihre Gefühle und ihre Gedanken mit einem professionellen Mentor besprochen werden. Oft geschieht dies auch in der Gruppe, so dass man die Einschätzung von mehreren erfährt. Das hilft sehr, bestimmte Dinge professionell zu verarbeiten.

 

Du befasst dich ja letztlich mit dem Denken der Menschen. Hilft dir das persönlich weiter oder kommen auch Freunde zu dir, um sich einen Rat abzuholen?

Tja, ich glaube, dass es mir persönlch weiter hilft, so viele Menschen in so unterschiedlichen Lebenssituationen kennen zu lernen. Das erweitert den Horizont. Wenn Freunde zu mir kommen, (die keine Stimmen hören), verhalte ich mich nicht wie ein Psychiater, sondern wie ein Freund.

 

Kannst du uns erklären wie du von dem, was dir ein Patient erzählt, auf eine Diagnose und eine Therapie kommst?

Schritt 1: Ich frage den Patienten, was ihn belastet. Ich lasse mir möglich detailliert beschreiben, in welchen Situationen er welche Probleme hat und welche Auswirkungen diese Probleme für ihn haben.

Schritt 2: Ich erhebe den “Psychischen Befund”. Ist der Patient zu Zeit, Ort und Situation orientiert? Ist die Gedächtnisfunktion intakt? Ist der Gedankengang geordnet, schlüssig und normal schnell? Ist er frei von wahnhaften Überzeugungen, frei von Wahrnehmungsstörungen (Halluzinationen)? Wie ist die Stimmung? Bestehen unangemessene Ängste, Zwänge oder übergreifende dysfunktionale Überzeugungen und Handlungsweisen? Schließlich muss ich auch eine Einschätzung der akuten Gefährdung durchführen. Kann er sein Verhalten gut steuern? Besteht eine akute Gefährdung durch Selbstmordabsichten oder Impulse, anderen etwas anzutun?

Schritt 3: Ich untersuche, ob eine körperliche Ursache vorliegt. (Körperliche Untersuchung, Labor, CCT, EKG,…)

Schritt 4: Ich betrachte all diese Informationen zusammen und entscheide mich, ob das Muster zu einer bestimmten psychischen Erkrankung passt. Es gibt einen Katalog der Erkrankungen, die zu jeder eine gewisse Menge an Kriterien formuliert, die vorliegen müssen, um die entsprechende Erkrankung zu diagnostizieren.

Schritt 5: Nachdem ich eine Krankheit diagnostiziert habe, prüfe ich im Verlauf immer mal wieder, ob die Diagnose wirklich stimmt. Man irrt sich ja auch manchmal. Manchmal ergeben sich erst im Verlauf neue Informationen. Und dann ändere ich meine Diagnose.

 

Psychiater Erfahrungen

 

Psychisch kranke Menschen wissen häufig gar nicht, dass sie krank sind. Wodurch kommt der Ruck, dass sie zum Psychiater gehen?

Oft fallen psychisch Kranken einzelne Beschwerden doch auf: Der eine Patient kommt nicht zum Arzt, weil er das Gefühl hat, der Nachrichtensprecher im Fernseher spricht genau und nur zu ihm, sondern nur deshalb, weil er unter starken Ängsten leidet. Ein anderer, depressiver Patient findet zwar, dass seine Stimmung ganz angemessen ist, kommt aber wegen der Schlafstörung. Wenn ein Patient sich entscheidet, zu mir zu kommen, dann hat er mindestens einen Grund, Hilfe zu suchen. An dem versuche ich, anzusetzen.


 

Was macht einen guten Psychiater aus?

Er überlegt bescheiden, was er tun kann, um seinem Patienten zu helfen. Er drängt ihm keine Hilfe auf (außer in gewissen Ausnahmesituationen, wo es andernfalls gefährlich werden würde).

Aber er übernimmt auch die Verantwortung dafür, das, was in seiner Hand liegt, gewissenhaft zu machen. Also alle erforderlichen Untersuchungen durchzuführen, sich mit allen Beteiligten gut abzusprechen (wenn der Patient das wünscht), und alle Hilfen anzubieten, die etwas nutzen können.
Und nachdem er all das gemacht und seine Hilfe angeboten hat, respektiert er ohne Einschränkungen die Entscheidung des Patienten, was dieser jetzt und hier annehmen und tun will, und was er nicht annehmen und tun will.

 

 

Bilder: Clker; Steine Spirale: Mika Abey  / pixelio.de; Pfeil auf Asphalt: Mika Abey  / pixelio.de; Stuhlkreis: klaus klingberg  / pixelio.de

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