Die Füße zählen zu den am meisten beanspruchten Teilen des menschlichen Körpers. Etwa 8.000 Schritte macht jeder von uns pro Tag und unsere Füße tragen uns im Laufe unseres Lebens 130.000 Kilometer weit, also etwa drei mal um die Erde. Dieser Belastung zollen die 90.000 Schweißdrüsen der Füße Tribut, die somit die Temperatur regeln und Nährboden für den unverwechselbaren Geruch geben. Aber genug zu den Eckdaten und hin zu meinem heutigen Interviewpartner, Joko. Er geht seit vier Jahren barfuß durchs Leben und schreibt auf seinem Blog über seine Erlebnisse. Im Interview erzählt er uns, wie es sich anfühlt, Full-Time barfuß zu sein.
Wie bist du auf die Idee gekommen, barfuß durchs Leben zu gehen?
Auf die Idee, barfuß zu gehen, kam ich im Mai 2011. Anders als man vielleicht zunächst vermuten würde, war es kein Wetteinsatz. Vielmehr fing ich mit dem barfuß gehen an, weil mich eine Dokumentation im Fernsehen auf diese Idee brachte:
Damals zappte ich ohne Ziel durch Abendprogramm im Fernsehen, aber so recht kam nichts interessantes. Auf den üblichen Sendern kamen keine Serien oder Shows, die mir zusagten, also schaltete ich immer weiter. Dann blieb ich auf einem der dritten Sender hängen. Dort lief eine Dokumentation “Das Steinzeitrezept“. Hauptthema waren “moderne Gesellschaftskrankheiten”, ihre Ursachen und Ansätze wie man von den Menschen aus der Steinzeit lernen kann, die diese Krankheiten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht hatten. Viele Themen betrafen die Bewegung und/oder Ernährung. Der Abschnitt, der sich mit Rückenschmerzen, Knie- und Gelenkproblemen beschäftigte war für mich besonders interessant.
Dort trat ein amerikanischer Professor auf, der die These aufstellte, dass diese Erkrankungen häufig durch falsches Gehen verursacht würden. Durch modernes Schuhwerk, dass den Fuß mehr oder weniger in Samt einpackt, Stöße abfedert, den Fuß stützt habe sich der Mensch eine andere Art und Weise zu gehen angewöhnt. Es wird mit der Ferse aufgetreten und dann über den Fußballen abgerollt. Letztendliche Konsequenz dessen seien (a) die Verkümmerung der Fußmuskulatur. Der Fuß werde deutlich eher anfällig für Fehlstellungen und Verletzungen und (b) durch das Auftreten mit der Ferse schlage die komplette Wucht durch den gesamten Körper: Ferse, Sprunggelenk, Knie, Hüfte, Wirbelsäule bis hoch in den Nacken. Viel gesünder sei es, zu gehen/laufen wie der Steinzeitmensch: barfuß. Beim barfuß gehen tritt man nicht mehr mit der Ferse sondern mit dem Fußballen auf. Durch die besondere Form des Fußes wird die Wucht des Auftretens durch das Längs- und Quergewölbe sowie die Wadenmuskulatur komplett aufgefangen und aufgenommen. Dies führt zu einem wesentlich ruhigeren gehen/laufen. Ein weiterer Vorteil ist, dass dieses System wie eine Sprungfeder wirkt und Teile der Energie beim Abstoßen des Fußes vom Boden wieder freigesetzt werden und man so weniger Kraft für die Fortbewegung braucht.
Ich kann nicht genau sagen warum, aber mich faszinierte das barfuß gehen/laufen. Die Argumentation konnte ich nachvollziehen und hielt sie für sinnvoll. So dachte ich mir “Warum probierst du das nicht mal aus?” Gesagt, getan. Ich startete mein Barfußexperiement. Zunächst wollte ich nur zwei Wochen barfuß durch meinen Alltag gehen. So ging ich am nächsten Tag barfuß aus dem Haus, mit der Absicht meine Schuhe erst nach den zwei Wochen wieder anzuziehen. Aber es kam alles ganz anders. Als das Experiment fertig war, kam der Sommer und ich stand vor der Fragen “Soll ich wirklich wieder Schuhe anziehen? Jetzt ist es richtig warm draußen und ich stecke meine Füße wieder in die viel zu warmen Schuhe …” Also ließ ich es bleiben. Inzwischen ist es für mich zur Normalität geworden, barfuß zu gehen.
Das ist die Geschichte, warum ich barfuß durchs Leben gehe.
Machst du das das komplette Jahr über?
Nein. Es gibt Temperaturbereiche, die mir zu kalt sind. Stand letzter Herbst ist: Alles, was deutlich unter 10°C mittlerer Tagestemperatur ist, ist zu kalt. Es wird dann einfach unangenehm. Ich weiche dann auf meine Barfußschue aus. Inzwischen habe sogar ein Paar, das ich bei Regen, Schnee und Eis tragen kann. Diese Schuhe haben den Vorteil, dass sie sehr flexibel sind und die Bewegungsfreiheit möglichst wenig eingeschränkt wird.
Die Beobachtung der letzten Jahre ist jedoch, dass die Temperatur, bei der ich noch barfuß gehen kann, stückweise sinkt. Es kann also gut sein, dass ich in einigen Jahren auch fast den ganzen Winter über barfuß gehen werde. Hier ist aber ein gutes Körpergefühl notwendig. Im Moment ist meine Barfußzeit von Ende März/Anfang April bis circa November.
Verletzt du dich da leicht an Kanten oder scharfen Sachen auf dem Boden?
Jain. Am Anfang war das durchaus mal der Fall. Kleine Glassplitter setzen sich gerne in der Hornhaut fest und piksen dann in den Fuß. Das passiert aber mit den Jahren immer seltener. Glasscherben oder Gestrüpp, die auf dem Boden liegen, kann man ja ausweichen. Hier ist festzustellen, dass ich anfangs sehr viel mehr auf den Boden geschaut habe, was denn da so herumliegt. Inzwischen ist das aber auch nicht mehr so, ich sehe das entweder aus dem Augenwinkel und laufe dann drum rum oder ich laufe auch mal durch eine zerbrochene Flasche. Der Trick ist ja der folgende: Glas ist ja nur dann wirklich scharf und gefährlich, wenn es frisch zerbrochen ist. Liegt es allerdings schon einige Tage auf der Straße ist tausendmal bewegt worden und die Kanten schleifen sich stumpf.
Nach ca. einem Jahr war meine Hornhaut unter der Fußsohle so dick und robust, dass ich sogar glühende Zigarettenkippen austreten kann. Ich merke nicht einmal, dass es warm wird.
Hast du nicht Angst dass du einmal in Hundekot oder ähnliches treten könntest?
Nein. Wie schon gesagt, man gewöhnt sich an, den Weg genauer zu beobachten und weicht solchen Hindernissen dann einfach aus. Aber da habe ich eine Gegenfrage: Wie ist es dir als Schuhträger im vergangenen Jahr passiert, dass du in Hundekot getreten bist?
Hat man barfuß noch Stinkefüße?
Nein, überhaupt nicht. Klar, wenn es wirklich warm ist, schwitzt man auch barfüßig. Der Unterschied ist jedoch, dass die Feuchtigkeit recht schnell trocknet, so haben Bakterien gar keine Zeit, übelriechende “Abgase” zu produzieren.
Wie reagiert dein Umfeld darauf wenn du barfuß bist?
Mein direktes Umfeld reagiert eigentlich gar nicht mehr. Man kennt mich ja nicht mehr anders. Das war am Anfang anders. Da hatte ich entweder komische Nachfragen und teilweise hartes Unverständnis. Das hat mich jedoch nicht gestört, denn ich laufe nach wie vor barfuß. Mit Menschen, die ich nicht kenne, hatte ich aber schon die eine oder andere witzige Situation:
1.) Supermarktkasse. Hinter mir steht eine Mutter mit kleinem Kind. Plötzlich fragt das Kind völlig fassungslos die Mutter: “Mama, warum geht der Mann da barfuß?”. An der Stimme des Kindes hört man richtig, wie da ein Weltbild im Kind zusammenbricht. Noch viel schöner sind die Erklärungsversuche der Mütter. Sie sind ja meist strikt darauf bedacht, dass sich barfuß gehen, gerade in der Öffentlichkeit, nicht gehört.
2.) Im Zug. Der Schaffner brüllt quer durchs Abteil: “Wer hat dem jungen Mann dort vorne die Schuhe geklaut?”
3.) Am Bahnhof. Ich werde von einem fremden Mann von der Seite angequatscht: Er habe ich seiner Tüte ein paar Schuhe, das er mir verkaufen wolle, ja zur Not sogar schenken wolle. Ich habe es auch mit Erklärung nicht geschafft, seinen Horizont soweit zu erweitern, dass ich das mit voller Absicht mache und mich so wohl fühle. Er ging dann kopfschüttelnd wieder weg.
Interessanterweise habe ich bisher so gut wie gar keine echt negative Erfahrung gemacht, bisher. Oftmals sind Leute verwundert und teilweise sehr interessiert. Ab und an stößt man jedoch auch auf Unverständnis.
Wenn du denn mal wieder Schuhe oder Socken anziehst, wie schnell gewöhnst du dich wieder daran?
Das ist so eine Sache. Bei meinen Barfußschuhen habe ich kaum Probleme, eher und viel öfter mit normalen Schuhen. Generell ist es so, dass ich zunächst das Gefühl, dass meine Füße nach kurzer Zeit glühen, weil sie viel zu warm sind.
Bei normalen Schuhen ist es auch so, dass sie oft drücken und den Fuß gefühlt abschnüren. Oftmals schmerzen die Füße nach wenigen Stunden und ich bin sehr froh, wenn ich die Schuhe wieder ausziehen kann.
Du machst das jetzt ja schon einige Zeit. Was sind die Pros und Contras dabei?
Ja, inzwischen mache ich das schon seit circa vier Jahren und ich habe viele Erfahrungen sammeln können. Generell habe ich eines festgestellt: Es gibt eigentlich keine Situation, die barfuß nicht geht. Aber ich versuche diese Frage mal mit einigen Stichworten zu beantworten.
Pro:
- Keine stinkenden Schweißfüße
- Ein viel weicheres Gehen
- Weniger Rückenschmerzen
- Abhärtung
- Sehr bewegliche Füße
- Gut trainierte Wadenmuskeln
- Geringeres Verletzungsrisiko (Muskeln und Bänder sind viel stabiler und halten kleinere Fehltritte viel besser aus)
Contra:
- Niedrige Temperaturen sind schwierig. Ab eine gewissen Untergrenze wird es unangenehm und ich muss auf Schuhe ausweichen
- Lange Ampelphasen sind im Hochsommer immer abenteuerlich. Wenn ich einmal stehe und auf genau dieser Stelle stehen bleiben kann, ist es noch erträglich, aber sobald ich einen Schritt zur Seite machen muss, wird es sehr schnell zu heiß und ich fange an zu tanzen.
- Gesellschaftliche Konventionen. Bei zum Beispiel Konfirmationen, Hochzeiten, Konferenzen, … gebietet die Etikette, ordentlich gekleidet zu erscheinen, dazu gehören nunmal auch Schuhe.
- Es gibt bestimmte Orte, da darf man entweder nicht auf den Boden gucken, man darf nicht darüber nachdenken dass man barfuß ist wenn man sie besucht oder man hat irgendwann einen unangenehmen Druck auf der Blase (
)
- Der Anfang ist ein “steiniger Weg”. Wenn die Füße es überhaupt nicht gewöhnt sind, tut fast jeder Schritt weh, weil auf den Straßen meist immer irgendwelche Steinchen liegen oder Beton sehr grobporig und rau ist.
Wirst du auch in der Zukunft barfuß unterwegs sein?
Auf jeden Fall! Wie gesagt, für mich ist es inzwischen normal. Allerdings werde ich, wenn ich ins Berufsleben einsteige, vermutlich nicht mehr so exzessiv barfuß gehen können. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies manchen Arbeitgebern sauer aufstoßen könnte, wenn ich barfuß zum Dienst erscheine.
Zum Schluss habe ich noch eine kleine Anekdote:
Es gibt ja durchaus Orte, an denen es völlig normal ist barfuß zu gehen, dort macht es sogar die Mehrheit der Menschheit. Kurioserweise gibt es genau einen solchen Ort, an dem ich über 90% der Zeit, in der ich mich dort aufhalte, Turnschuhe trage, beziehungsweise extra Schuhe anziehe, wenn ich dort ankomme. Kann sich jemand vorstellen, wie das in meine Welt passt? Alle Welt ist dort barfuß, nur der Joko, der sonst immer barfuß unterwegs ist, trägt Schuhe!
Des Rätsels Lösung ist aber ganz einfach: Ich habe einen Nebenjob und arbeite als Rettungsschwimmer in einem Schwimmbad. Dort mache ich Badeaufsicht und bin normalerweise 6 – 8 Stunden im Schwimmbad und drehe meine Runden, sorge für Recht und Ordnung. Im Notfall muss ich dort dann auch mal schnell von der einen in die andere Ecke kommen und da sind Schuhe deutlich sinnvoller! Die Rutschgefahr ist mit Schuhen wesentlich geringer als barfuß. So kommt es, dass ich im Schwimmbad fast immer feste Schuhe trage.
Bilder: Titelbild: clker; Wasser: Ruth Rudolph / pixelio.de; Schnee: Bodo Schmitt / pixelio.de; Taxi: Monika Oumard / pixelio.de; Sand: Marlies Schwarzin / pixelio.de