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Marie und Daniel über Selbstversorgung

Einkaufsliste schreiben, in den Laden gehen, einkaufen, zurückkommen und dann essen, trinken, anziehen, benutzen. So in etwa läuft das eigentlich mit allen Gütern heute und das hat sowohl seine guten als auch schlechten Seiten. Aber genau deswegen ist “etwas selbstgemachtes” oder “etwas persönliches” auch immer etwas besonderes, egal ob als Geschenk oder für einen selbst. Meine heutigen beiden Interviewpartner Marie und Daniel beschäftigen sich auf ihrem Blog damit, alles mögliche selbst herzustellen und dadurch zumindest teilweise in Richtung Selbstversorgung zu gehen. Im Interview erzählen sie uns mehr darüber.

 

Wie seid ihr auf die Idee gekommen eine Seite über das Thema Selbstversorgung zu schreiben?

Marie: Das muss am Spieltrieb liegen. Der hat einfach nie nachgelassen. Als Kind haben wir es geliebt (wie wohl die meisten), Dinge zu basteln, auszuprobieren und zu verstehen. Das ist immer noch so. Als wir dann nach Norwegen gezogen sind, gab es einige Produkte so nicht zu kaufen, wie wir sie gern gehabt hätten: Quark, bezahlbares Bier oder gutes Brot zum Beispiel. Also mussten wir selber ran. Es folgte die Neugier: ob wir wohl auch dieses oder jenes selbst herstellen könnten? Apropos… Wie macht man eigentlich Schuhcreme? Oder Waschmittel? Oder eine Tasche?



Daniel: Außerdem interessiert mich, wie die Menschen früher gelebt haben. Auch wenn ich die Bequemlichkeit der modernen Welt sehr mag, denke ich, dass die Menschen damals nicht primitiver waren und in vielen Bereichen wahrscheinlich begabter. Ich würde gerne meinen Beitrag dazu leisten, dieses alte Wissen zu bewahren. Wer weiß, vielleicht brauchen wir es demnächst wieder. Selbstversorgung wird auch häufig mit einem Ausstieg aus der Gesellschaft verbunden. Wir sehen das nicht so umfassend und radikal. Frei nach dem Motto unseres Blogs „Über die Freude am Ausprobieren und Selbermachen“ fängt Selbstversorgung für uns schon beim einfachen selbstgemachten Ding an, das nach einem stinknormalen Arbeitstag in der Freizeit am heimischen Küchentisch entsteht.

 

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Was fasziniert euch so daran?

Das Lernen und die Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten. Man wird sich bewusst, wie viel Wissen und Erfahrung in einigen Handwerken stecken. In  scheinbar einfachen Dingen wie einem Bier oder einem Schuh stecken Generationen von Gedankengut und Experimenten. Man kann sich ein Leben lang mit dem Brauen von Bier beschäftigen und doch immer wieder etwas Neues entdecken. Ansonsten empfinden wir eine gewisse Zufriedenheit und Stolz, wenn wir etwas selber hergestellt haben. Diese Dinge sind (im wahrsten Sinne des Wortes) greifbarer als das meiste andere, was wir in unserem Arbeitsalltag oder in der digitalen Welt produzieren.

Und das Lob von anderen Menschen, wenn etwas wirklich gut geworden ist, ist auch nicht ohne. Außerdem ist man beim Selbermachen aktiv, trainiert seine motorischen Fähigkeiten, ist konzentriert und gerät auch manchmal richtig ins Schwitzen, was man so vorm Rechner oder Fernseher nicht machen würde. Langeweile kommt da eher selten auf.

 

Wie kann man ein wenig Selbstversorgung in das Stadtleben einbauen?

Marie: Die meisten denken bei Selbstversorgung wohl an die Versorgung mit Lebensmitteln, und das ist sicherlich auch eine der wichtigsten Tätigkeiten. Aber hier braucht es einen großen Garten, Zeit, einiges an Wissen und brauchbare klimatische Bedingungen. Die Versorgung mit anderen Dingen wie Kleidung, Kosmetika, Möbeln, Geschirr und so weiter kann man auch in der Stadt probieren, solange man den Platz und die Zeit dafür findet. Unsere Küche ist gleichzeitig auch Werkstatt, Brauerei, Molkerei, Kellerei und Atelier, allerdings sieht sie auch nicht gerade aus wie in einem Werbekatalog… ;)

Daniel: Wir werden oft gefragt: „Wo nehmt ihr bloß die Zeit her für all die Dinge, die ihr macht?“ Unser modernes (Stadt-)leben ist ziemlich vollgepackt, was ich komisch finde, wo doch moderne Technik und Digitalisierung einmal den Anspruch hatten unser Leben einfacher und leichter zu machen. Im Gegenteil dazu haben sie unser Leben rasant beschleunigt und fressen gleichzeitig Zeit. Wir haben uns in einigen Bereichen bewusst dagegen entschieden. Wir haben zum Beispiel keinen Fernseher und sind auch nicht bei Facebook & Co zu finden. Dadurch haben wir viel Zeit gewonnen. Ein anderer Punkt sind Bücher – viele neigen heute dazu, sich Wissen aus dem Internet zu ziehen. Wissen im Internet scheint mir allerdings sehr zerstückelt und unsicher, da man schwer nachvollziehen kann, wer es publiziert hat. Meine Theorie ist hier, dass man mit Büchern Zeit sparen kann, da ein Buch Wissen kompakter, systematischer und umfangreicher zur Verfügung stellt als das Internet.

 

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Was ist an selbstgemachten Produkten besser als an denen die man beispielsweise im Supermarkt kauft?

Man ist irgendwie stolz, etwas geschafft (geschaffen) zu haben. Man lernt die Dinge schätzen, weil man weiß, wie viel Mühe, Zeit und Wissen darin stecken. Man weiß, was drin ist (und vor allem, was nicht drin ist). Viele Nahrungsmittel schmecken tatsächlich besser und frischer, eben ohne künstliche Geschmacksverstärker und Co. Man umgeht Systeme, die man vielleicht nicht unterstützen möchte. Wir denken da zum Beispiel an die Tierindustrie oder die Kosmetikindustrie mit ihren zweifelhaften Inhaltsstoffen oder Tierversuchen. Man weiß im besten Falle, dass es sich um ein mit Freude gefertigtes Qualitätsprodukt handelt. Es wurden bei der Herstellung keine Menschen ausgebeutet. Man verbindet eine positive Zeit mit dem Gegenstand. Man hat eine völlig andere Wertschätzung für die selbstgemachten Dinge im Gegensatz zu gekauften Dingen. Hier passt man besser auf sie auf und repariert sie, wenn sie kaputt gehen. Da man beim Herstellungsprozess dabei war, fällt die Reparatur auch nicht schwer. Auf der anderen Seite braucht das Herstellen von Dingen nun einmal Zeit, die viele anders nutzen möchten. Selbstgemachtes ist auch nicht immer billiger. Ob das nun gegen das Selbstgemachte oder gegen die Industrien hinter den Supermarktketten spricht, kann diskutiert werden. Wir greifen das Thema auch stellenweise auf unserem Blog auf.

 

Merkt man wie bequem man es eigentlich hat wenn man seine Sachen selbst herstellt?

Ja, auf jeden Fall. Man bekommt einen sehr guten Eindruck davon, wie viel Arbeit in einer Sache steckt. Zum Beispiel in einer Hose: darin steckt ja nicht nur die Arbeitszeit des eigentlichen Schneiderns, sondern auch die Arbeitszeit der ganzen Stoffherstellung inklusive Weben und Färben, die Arbeitszeit zur Herstellung des Fadens für den Stoff vom Rohprodukt der Baumwollpflanze oder des Schafs und so weiter. Da fragt man sich schon, warum eine ähnliche Hose bei H&M so wenig kostet. Die Antwort kennen wir eigentlich alle: billige Arbeitskräfte in Pakistan und Bangladesch, Einsparungen in Bereichen wie Arbeitsschutz, Umweltschutz oder der Sozialversicherung der ArbeiterInnen. Darum würden wir auch sagen, dass man merkt, welche negativen Auswirkungen an der eigenen Bequemlichkeit hängen. Das ist eine sehr unbequeme Erkenntnis.

 

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Früher gab es ja mal mehr Selbstversorgung, einfach weil es das heutige Stadtleben nicht gab. Haben sich die Selbstversorgungsmethoden im Vergleich zu heute verändert?

Marie: Das ist schwer zu sagen, weil wir es noch nicht in diesem Ausmaß probiert haben. Aber ich vermute, dass heute viel mehr dazu gekauft werden müsste, vor allem, wenn es um Familien mit Kindern geht. Wie will man den Kindern heute erklären, dass sie keine Cola, keine Gummitiere, kein Smartphone haben können? Auch die Gesetzeslage sieht heute ganz anders aus, zum Beispiel wenn es um Umweltschutz, den Hausbau oder das Schlachten von Tieren geht. Es ist heute leichter, sich entsprechende Gerätschaften und Zutaten zu beschaffen. Im Internet zu Beispiel. Drittens hat man heute oft nicht mehr die großen Familienbande, die es früher ermöglicht haben, generationsübergreifenden Erfahrungsaustausch, Kinderbetreuung und Arbeit miteinander zu verbinden. Auf der anderen Seite kommt man viel leichter an Wissen heran: das Erlernen von Handwerken und das Abgucken von Tricks ist Dank verschiedener Blogs und Plattformen eine Sache von wenigen Minuten geworden. Da die meisten von uns Englisch verstehen, funktioniert das sogar global.

Daniel: Gerade bei alten Haushaltstechniken und Handwerken ist es manchmal umgekehrt der Fall, dass das Wissen ziemlich tief vergraben liegt. Ich musste schon ziemlich lange suchen, bis ich ein altes Handbuch gefunden hatte, das beschreibt, wie man Talg aus dem Innereien-Fett von einer Kuh herstellt. Manchmal sind Handwerkstechniken auch so selten, wie zum Beispiel das Punzieren von Leder, dass es im Internet nur Einsteiger-Wissen gibt. Wie schon erwähnt sind Bücher da eine besondere Hilfe. Es mag auch eine Besonderheit in Norwegen sein, aber der Zugang zu Rohmaterialien ist heute meines Erachtens schwieriger als früher. Es hat ganz schön gedauert, bis ich das Innereien-Fett für die Herstellung von Talg gefunden hatte.

 

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Welche Dinge kann man selbst herstellen und welche nicht?

Marie: Vieles ist wohl eine Frage der Zeit, der Ressourcen, der Kreativität und des Anspruches. Verzichten möchte ich trotzdem nicht auf gekaufte Zahnpasta, Zahnseide und andere Hygieneartikel, auf Fotos, auf eine bezahlbare medizinische Versorgung, auf guten Whisky, Werkzeuge, Zitrusfrüchte, Toilettenpapier, allerlei Gewürze, Schokolade, Kaffee, Tee, Bücher, meinen PC, mein Telefon, das Internet, Fisch, die Waschmaschine. Ich glaube, wenn ich weiter nachdenken würde, würde die Liste ziemlich lang werden…

Daniel: Unser Blog zeigt aber auch, dass die Liste der Dinge, die man selbst herstellen kann, sehr lang ist. Die spannenden Fragen sind: Wie viel möchte ich selber herstellen? Warum will ich das machen?  Und die fast schon philosophische Frage: Was brauche ich eigentlich?

 

Bauernhaus

 

Ist es euer Ziel irgendwann einmal in Selbstversorgung auf dem Land zu leben?

Wir glauben nicht, dass das überhaupt zu 100 % möglich ist. Aber wie so viele zieht es auch uns aufs Land, wir möchten zumindest einen Teil unserer Zeit im Garten, mit Tieren und mit der Herstellung von Dingen verbringen. Wir möchten, dass Bewegung ein natürlicher Bestandteil unseres Alltags ist. Und wir möchten immer wieder etwas Neues lernen. Am Schönsten wäre es, wenn man dabei in einer aktiven Dorfgemeinschaft leben könnte, die offen dafür ist und in der man sich gegenseitig unterstützt. Gleichzeitig haben wir den Drang, weiter viel “Kopfarbeit” zu leisten. Eine Kombination von Tätigkeiten wäre also ideal.


Wo fängt man am besten an wenn man das ganze mal selbst ausprobieren will?

Einfach da, wo es Spaß macht und die Neugierde am größten ist: Bei Kräutern auf der Fensterbank, beim Herstellen vom eigenen Deo, beim Sammeln von Pilzen oder Beeren, beim Stricken einer Mütze, beim Brauen von Bier oder Schnitzen eines Löffels. Wir hoffen, dass unser Blog ein paar Anregungen geben und vor allem die Freude und den Stolz dabei vermitteln kann. Und wenn jemand diesen Schritt macht und dann voller Begeisterung der Welt das Geschaffene (und die Arbeitsschritte bis dahin) zeigen möchte, dann kann sie oder er gerne einen Gastartikel auf unserem Blog veröffentlichen. Wir freuen uns immer von anderen Selbermachern/Selbstversorgern zu hören.

 

 

Bilder: Titelbild: Clker; Handarbeit: Birgitt Stüve  / pixelio.de; Bier: Tim Reckmann  / pixelio.de; Huhn: Wolfgang Ruthner  / pixelio.de; Kuh: Peter Freitag  / pixelio.de; Bauernhof: Ascada  / pixelio.de

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