Eine Sache haben alle 7,125 Milliarden Menschen auf diesem Planeten gemeinsam: früher oder später stirbt jeder von uns einmal. Das wird auch immer so bleiben, da sich der Prozess des Alterns nicht aufhalten lässt und wir ohne den Tod immernoch Einzeller irgendwo in einer Schlammpfütze wären. Doch obwohl der Tod etwas ist, das jeden betrifft, macht man sich eigentlich relativ wenige Gedanken darüber. Nicht so meine heutigen beiden Interviewpartnerinnen Petra und Annegret. Auf ihrem Blog Totenhemd setzen sie sich mit dem Thema Sterben auseinander. Warum sie das tun, was es über den Tod alles interessantes zu wissen gibt und wie man durch das Nachdenken darüber auch Einfluss auf das hier und jetzt nehmen kann, erklären sie uns im Interview.
Wie seid ihr auf die Idee für einen Blog über den Tod und das Sterben gekommen?
Es begann rund um den Jahreswechsel 2014/15, als ein Emailwechsel hin-und her ging zu der Frage: Würdest du ein Totenhemd haben wollen, so wie früher, als man das Leinenhemd im Schrank liegen hatte. Das Totenhemd, das einen an die Endlichkeit erinnert. Unsere Lust am Experimentieren und am Schreiben hat uns zum Jahresschluss am 30.12.2014 geritten. Aus beruflichen und privaten Gründen redeten wir immer wieder gerne über die Endlichkeit. Für uns gibt es hier nur noch wenige Tabus. Aber die meisten Leute, die wir kennen, sind beim Thema Endlichkeit, Sterben, Trauern eher reserviert und irritiert. Das finden wir schade. Und haben Lust, mit unseren Gedanken, Erfahrungen und Experimenten, andere zum Nachdenken und Sprechen über “die letzten Dinge” zu verlocken.
Was fasziniert euch an dem Thema?
Wir sind neugierig! Wir sind schon über die Mitte des Lebens hinaus und haben ziemlich wenig mit dem Tod zu tun gehabt. Annegret noch mehr, weil sie als Pfarrerin mit Sterbenden und Toten zu tun hatte, aber nicht im privaten Alltag. Uns wurde deutlich, dass uns da etwas fehlt.
Außerdem wollen wir Mut machen, dem (eigenen) Sterben ins Auge zu sehen. Sich dem Lebensende zu stellen. Der Tod wird kommen. Bei manchen früher, bei manchen sehr spät. Es ist eine Art von Persönlichkeitsentwicklung, wenn wir uns unser eigenes Sterben immer wieder bewusst machen. Wenn wir außerdem darüber im Klaren sind, dass morgen ein geliebter Menschen sterben kann, sind wir gewappnet. (Sicher nicht, was die Gefühle betrifft – aber was die Gestaltung des Abschieds betrifft. Da haben wir inzwischen ziemlich viel gelernt.) Wir wollen anregen, das Leben noch bewusster zu leben, dankbar zu sein, es auszukosten, aus jedem Tag neu zu schöpfen im Wissen: das Lebensende wird kommen. So wie wir geboren werden ins Leben, so werden wir eines Tages sterben. Das ist die Realität. Wir reden sie nicht schön, aber auch nicht weg. Wir wollen so etwas wie Normalität zurückholen – die gab es nämlich mal in Bezug auf den Tod.
Warum glaubt ihr wird über das Sterben so selten gesprochen?
Vor allem weil es angstbesetzt ist. Sehr interessant war der Selbstversuch: Annegret machte ihre Patientenverfügung etc. und dachte währenddessen wochenlang „Jetzt kommt das Ende – ich werde sterben und hinterher wird man sagen: Schaut nur! Sie hat es kommen sehen!“. Sehr lustig eigentlich, eine Art moderner magischer Vorstellung. Witzig auch, dass Petra immer noch ihre Artikel beendet mit: „aber ich werde ja auf jeden Fall 90…“
Das Sterben wurde zur Krankheit umdefiniert (ähnlich wie die Geburt übrigens) und die muss man mit allen Mitteln bekämpfen. Wenn ein Mensch dann tot ist, dann ist das unhygienisch und ein Experte muss her, der das alles sicher im Griff hat. So nehmen wir uns ganz viel vom heilsamen Abschiednehmen.
Annegret´s Küchentischtheorie ist noch: Unsere Gesellschaft hat im zweiten Weltkrieg so viele Tote gesehen, vor allem die Grausamkeit des gewaltsamen Todes, dass man den Tod insgesamt erst einmal von sich schob.
Wenn sogar eine gläubige Frau Ende 70 völlig überrascht davon ist, dass ihre ältere Schwester stirbt oder Leute sagen „80 ist ja kein Alter“, dann haben wir als Gesellschaft den Anschluss an einen natürlichen Vorgang verloren. Aber es wandelt sich was in unserer Sterbekultur. Das Thema ist immer präsenter. Es gibt unzählige Bücher zum Tod und zur Trauerbewältigung. Wir haben schon einige Bücher in unserem Blog vorgestellt.
Glaubt ihr an ein Leben nach dem Tod?
Petra: Gute Frage. Schwierige Frage. Wenn ich einem bekannten Gehirnchirurg glaube, dann ist da ein klares NEIN. Ich wünsche mir, dass meine Seele nach Asien fliegt . Und das was Annegret antwortet finde ich schön, macht mich leicht weil alles unbedeutend wird.
Annegret: Nein. Ich glaube, dass all das ganz und heil wird, was wir hier im Leben nur unvollständig hinkriegen. Und dass ich irgendwie verstehen werde, was ich hier alles nicht verstehe. Oder merken werde, dass das keine Bedeutung mehr hat. Das tröstet mich sehr. Das steht symbolisch auf meiner Sterbedecke, die ich inzwischen besitze „Von Angesicht zu Angesicht“.
Kann man es sich aussuchen auf welchem Friedhof man einmal begraben werden möchte?
Ja. Wenn man allerdings an einen ganz anderen Ort “umziehen” möchte, dann kostet das auch entsprechend mehr. Beispielsweise lebte meine Tante in Braunschweig und wurde in Bad Münster beigesetzt.
Inzwischen weicht die Friedhofspflicht auf. Friedwälder werden immer beliebter. Sicher wird sich in den nächsten 10 Jahren da noch viel mehr lockern. So wie in der Schweiz, wo du die Asche mitnehmen kannst, wohin du willst. Das ist hier noch verboten, siehe unten.
Gibt es berühmte oder besonders beliebte Friedhöfe, wo darum gestritten wird, dort begraben werden zu dürfen?
Berühmte und beliebte Friedhöfe gibt es. Gestritten? Wissen wir nicht.
Auf dem Highgate Cemetery in London habe ich erfahren, man wird dort begraben, wo gerade Platz ist, so “voll” ist der alte ehrwürdige Friedhof.
Gibt es irgendein Gesetz das vorschreibt, wann man sich um sein Begräbnis kümmern muss?
Nicht dass wir wüssten. Meistens kümmern sich ja die Angehörigen um den letzten Weg ihres Verstorbenen. Sie wissen, wo der Verstorbene begraben werden möchte. Es gibt allerdings einige Menschen, die alles vorab organisiert und in die Wege geleitet haben.
Annegret: Ich habe seit Blog-Beginn dazu eine neue Haltung entwickelt: Ich finde es gut, wenn man zum Beispiel finanziell vorsorgt und ein paar Richtungen angibt, aber letzten Endes ist es die Angelegenheit der Trauernden für sich und ihre Trauer einen guten gangbaren Weg zu finden. Also Petra: mag ja sein, dass ich deine Asche auf einem Hügel von Hongkong verstreuen soll. Kann aber sein, dass mir das gar nicht gut tut … Wer weiß, mit 80 könnte mir der Flug zu lang sein und ich nehm´ dich dann lieber mit ins Altenheim
Wie teuer ist eine Beerdigung?
Das variiert von Friedhof zu Friedhof und von Stadt zu Stadt. Es gibt preiswerte anonyme Grabstellen bis zu historischen und hochpreisigen Familiengräbern. Und dann hast du in Sachen Ausstattung die Auswahl von einfach bis Luxus – wie bei allem… Wir finden: bei berüschten weißen Totenhemden sollte man sparen…
Ist es legal, ein Familienmitglied im Garten, im Wald oder einer ähnlichen Stelle zu begraben?
In Deutschland nicht, hier gilt nach wie vor die strenge Regel: es wird auf einem Friedhof begraben beziehungsweise in einem Friedwald. In der Schweiz und in Holland ist es egal, wobei es schon Regeln gibt. Man soll beispielsweise die Asche nicht in öffentlichen Parks verstreuen, dafür kann man sie aber in den Zürichsee rieseln lassen oder man geht auf einen Berg und schüttet sie in die Tiefe.
Was zieht ihr daraus, wenn ihr euch so oft mit dem Tod beschäftigt? Ist das nicht ein wenig deprimierend? Habt ihr Erkenntnisse?
Petra: Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich lebendiger denn je. Mich machen die Blogartikel manchmal sogar fröhlich, wobei wir ganz bestimmte Themen auch weglassen, weil uns bewusst ist, dass der Verlust eines geliebten Menschen das Leben drastisch verändert und Trauer nicht in Worte zu fassen ist.
Annegret: Die Beschäftigung mit den verschiedenen Themen weckt meine Kreativität. Ob mir das im Ernstfall was nützt? Ich werde es sehen.
Wir hatten zwischendurch mal ´nen Hänger. Petra hatte eine Überdosis Krematorium und ich hatte das Gefühl, ich kann mich mit niemand mehr normal unterhalten. Aber dann hängt da ein Schild an der Tür meiner Chefin „Selpulkralkaufhaus – Buy now, die later – Mehr infos hinter dieser Tür“ und ich bin schon wieder auf der Spur.
Ich habe die heißen Sommertage auf meiner Sterbedecke verbracht, die ist nämlich schön bunt und kühl. Das hat immer ein bisschen an den Rändern meines Bewusstseins gekratzt und mir zugleich gesagt: Ja! Sitze hier jetzt mit deinen Lieben und zeichne stillvergnügt. Denn jetzt ist die Zeit dafür!
Bilder: Titelbild: Clker; Nelke: PeterFranz / pixelio.de; Kirche: NicoLeHe / pixelio.de ; Kerzen: Hiero / pixelio.de
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